Kursthemen

  • 8.2.B

    Mein Umgang mit Zeit - Tipps

    Tipps:

    Der österreichische Philosoph Peter Heintel gründete 1990 den Verein zur Verzögerung der
    Zeit. Ziel des Netzwerkes ist es, den Umgang mit Zeit zur Diskussion zu stellen. Oft nehmen
    wir uns nicht genug Zeit, um in Ruhe Entscheidungen zu treffen und machen uns selbst
    dadurch Druck. Die Entschleunigung, so die Mitglieder des Vereins, kann die Lebensqualität
    heben.
    Besuche folgende Websites, wenn du noch mehr zu dem Thema wissen möchtest:

    www.epop.at/link808
    www.epop.at/link809
    www.epop.at/link810

    Buchtipps:

    Sten Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit
    Ein historischer Abenteuerroman: Der Protagonist John Franklin ist durch seine außergewöhnliche
    Langsamkeit zum Außenseiter geworden. Seine Stärken sind Ausdauer, Zielstrebigkeit
    und die Fähigkeit, genau zu beobachten. Er folgt seinem Traum und nimmt an
    Expeditionen teil.


    Audrey Niffenegger: Die Frau des Zeitreisenden
    Henry DeTamble leidet an einem seltenen genetischen Defekt namens „Chrono-Impairment".
    Aufgrund dieses Defekts reist er z.B. bei Stress durch die Zeit und kommt an bzw. in
    unterschiedlichen Orten und Jahren an. Da er nichts mitnehmen kann, auch keine Kleidung,
    wird er zum Überlebenskünstler. Während dieser Zeitreisen entspinnt sich eine ungewöhnliche
    Liebesgeschichte.


    Heinrich Böll: Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral
    Heinrich Böll beschreibt in seiner Kurzgeschichte das Gespräch eines Touristen mit einem Fischer,
    der am Strand liegt und gemütlich döst. Der Tourist versucht den Fischer zu belehren, indem er
    ihm erklärt, dass er mehr arbeiten soll, um dann entspannt am Hafen liegen zu können.
    Böll wirft mit dieser Ankedote die Fragen auf, wie der Mensch sinnvoll seine Zeit nützt.
    Arbeitet der Mensch, um zu leben, oder lebt der Mensch, um zu arbeiten?

    In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem
    Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen
    Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit friedlichen
    schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fischermütze. Klick. Noch einmal: klick. Und
    da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick.
    Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet,
    schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt; aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm
    der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in
    den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges, schließt
    die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum messbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker
    Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig
    - durch ein Gespräch zu überbrücken versucht. „Sie werden heute einen guten Fang machen."
    Kopfschütteln des Fischers. „Aber man hat mir gesagt, daß das Wetter günstig ist." Kopfnicken
    des Fischers. „Sie werden also nicht ausfahren?" Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität
    des Touristen. Gewiß liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an
    ihm die Trauer über die verpaßte Gelegenheit. „Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?" Endlich geht der
    Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über. „Ich fühle mich großartig",
    sagt er. „Ich habe mich nie besser gefühlt." Er steht auf, reckt sich, als wollte er demonstrieren,
    wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich phantastisch." Der Gesichtsausdruck des
    Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen
    das Herz zu sprengen droht: „Aber warum fahren Sie dann nicht aus?" Die Antwort kommt
    prompt und knapp: Weil ich heute morgen schon ausgefahren bin." „War der Fang gut?" „Er war
    so gut, daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körben
    gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen..." Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und
    klopft dem Touristen beruhigend auf die Schulter. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint
    ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis. „Ich habe sogar für
    morgen und übermorgen genug", sagt er, um des Fremden Seele zu erleichtern. „Rauchen Sie eine
    von meinen?" „Ja, danke." Zigaretten werden in die Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde
    setzt sichkopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt
    beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen. „Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen
    Angelegenheiten mischen", sagt er, „aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites,
    ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus, und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn
    Dutzend Makrelen fangen - stellen Sie sich das mal vor." Der Fischer nickt. „Sie würden", fährt
    der Tourist fort, „nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag
    zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde?" Der Fischer
    schüttelt den Kopf. „Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei
    Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei
    Booten. Und mit dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen - eines Tages würden Sie zwei
    Kutter haben, Sie würden ...", die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die
    Stimme, „Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik,
    mit einem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren
    eigenen Kuttern per Funk Anweisungen geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant
    eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann
    ...", wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im tiefsten
    Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende
    Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. „Und dann", sagt er, aber wieder verschlägt
    ihm die Erregung die Sprache. Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich
    verschluckt hat. „Was dann?" fragt er leise. „Dann", sagt der Fremde mit stiller Begeisterung,
    „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer
    blicken." „Aber das tu' ich ja jetzt schon", sagt der Fischer, „ich sitze beruhigt am Hafen und döse,
    nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört."
    Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch
    einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb
    keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.

    (Böll, Heinrich, Werke: Band Romane und Erzählungen 4. 1961-1970. Köln: Kiepenheuer&Witsch
    1994, S. 267-269)


    www.epop.at/link811

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