Zeitdokumente 1917/18
Am 26.5.1917 berichtete die Zeitung „Der Abend“ über Kinder, die bei einer Verhandlung des Jugendgerichts verurteilt wurden, da sie Lebensmittel entwendet hatten:
„Wie die Kinder armer Leute jetzt hungern, davon kann sich niemand einen Begriff machen. Der Vater geht im Kriege zugrunde; [...] Die Mutter ist erwerbende, das heißt, sie muß um ein bißchen Kaffee, Zucker oder Gemüseersatz zwölf Stunden im Tag arbeiten auf der Straßenbahn, in Fabriken, in luftlosen Nähstuben. Die Eltern sind nicht da. Die Kinder aber wachsen und sind hungrig. Voll Freiheitsdrang und quälender Triebhaftigkeit ziehen sie durch Straßen und Parks, und was ihnen Eßbares in die Nähe kommt, stehlen sie. Wie Rudel hungriger Wölfe lungern sie umher, lauern auf das Eigentum anderer. Zwei kleine Burschen haben einen Greislerladen erbrochen, dreiviertel Kilogramm Mehl genommen und sich Nockerl gekocht. Ein vierzehnjähriges Mädel, ein Kind, das in die Fabrik geht, hat einem kleinen Buben einen Leib Brot weggerissen – ich habe so großen Hunger gehabt, sagt sie. Burschen stehlen aus Geschäften Marmelade, Konserven, tragen sie weg vor den Augen der Verkäufer. Andere wieder müssen Säcke, Wäsche stehlen, ihren Dienstgebern Einrichtungsstücke, nur um ein paar elende Geldzettel dafür zu kriegen, um sich einen elenden Bissen Essen zu verschaffen.“
1918 schreibt Max Winter über den Eugenmarkt in Wien:
„Alle Fleischstände geschlossen. Nur einige Gemüsestände geöffnet. Rüben, oft verfault, Zwiebeln, etwas Knoblauch und gefrorenes Kraut ist alles, was wir zu sehen bekommen. 60 Heller das Kilogramm gefrorenes Kraut. Viele der Krautköpfe zur Hälfte schon von den faulenden Stoffen angefressen. [...] Bei einem Stand wird Margarine verkauft. Wenig appetitreizendes Fett. Vier Dekagramm für jede Person als Wochenmenge, und die Frauen und Kinder stehen vorne schon eine Stunde, hinten anderthalb, um diese Wochenmenge an Fett zu erwerben. Das Thermometer zeigt zwei Grad unter Null, der Tag ist neblig und bitterkalt, und die Menschen sind alle schlecht gekleidet. Kinder in Sandalen und Halbschuhen, ihre Füße mit Fetzen umwickelt, stehen in der Reihe dichtgedrängt neben Großmüttern, die ihr langes Leben hindurch nicht so bittere Zeiten zu erleben hatten wie diese, neben jungen Frauen, die, in Fetzen und Tücher eingewickelt, ihren Säugling oder ihr Kleinkind am Arm haben, da sie es in dem kalten Heim nicht allein einsperren können.“